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Interview mit Mohammad F.

Gegenwärtige Perspektiven auf Flucht

AN EINEM ORT MENSCH SEIN WOLLEN

Mohammad F. wurde in Myanmar geboren. Er kam 2015 über die so genannte Balkanroute nach Deutschland. Er ist heute knapp über 20 Jahre alt und gehört der Minderheit der Rohingya an. Die Rohingya gelten als die größte staatenlose Minderheit weltweit. Sie leiden unter der systematischen Verweigerung ihrer Rechte. Nicht erst seit der blutigen Vertreibungswelle 2017, sondern seit Jahrzehnten werden ihre Angehörigen in Myanmar verfolgt.

Auch Mohammad F. und seine Eltern wurden zu Flüchtlingen. Sie schlugen sich im Nachbarland Bangladesch durch. Auch dort blieb die Familie massiven Diskriminierungen ausgesetzt. Sich in Bangladesch zu Hause zu fühlen, wollte Mohammad F. nicht gelingen.

Nach ihrer Ankunft schliefen meine Eltern auf der Straße. Ich war klein, ich habe wenige Erinnerungen daran. Meine Eltern sprachen kein Bengalisch. Sie hatten keine Arbeit, keine Staatsangehörigkeit. Ich durfte nicht zur Schule gehen. Erst als wir in ein Camp kamen, lernte ich die bengalischen Buchstaben.
Meinen Eltern ging es nicht gut. Die Bevölkerung in Bangladesch betrachtete sie als eine Last, machte ihnen Probleme. Meine Eltern fanden keine Arbeit. […] Erst mit neun oder zehn Jahren verstand ich nach und nach unsere Situation. Ich fragte meine Mutter und meinen Vater, warum wir so arm und erbärmlich lebten. Warum hatten wir nicht dieselben Rechte wie die anderen Kinder und erwachsenen Menschen in Bangladesch? Meine Eltern erklärten mir, dass wir aus einem anderen Land gekommen waren. Dass wir dort keine Staatsbürgerschaft gehabt hatten. Und hier, in Bangladesch, hatten wir auch keine. […]

 

Du sagst, dass du in Bangladesch diskriminiert wurdest, wie eine Last wahrgenommen. Wie definierst du „zu Hause“, sich sicher, sich wohl fühlen? Du hast so oft den Ort gewechselt. Wo fühlst du dich sicher oder zu Hause?

Auf der Reise meines Lebens, von meiner frühesten Kindheit bis heute, habe ich keine Rechte gehabt. Aber hier habe ich die meisten Rechte, die Menschen normalerweise bekommen. Deshalb fühle ich mich in Deutschland sicher und zufrieden. Meine Mutter weiß, dass ich in Deutschland bin, und sie ist froh, dass ihr Sohn an einem guten Ort ist, wo er die normalen Rechte bekommt.

Möchtest du deine Familie nach Deutschland holen?

Wenn ich die Gelegenheit hätte, würde ich sie gerne herholen. Aber zuerst muss ich besser leben, eine Arbeit machen. Dann würde ich es versuchen, weil die Bedingungen für sie in Bangladesch nicht gut sind.

 

Was denkst du über die aktuelle Lage der Rohingya in Myanmar?

Für meine Familie und mich ist Myanmar immer noch unser Heimatland. Wir möchten gerne dorthin zurückkehren. Ich habe gehört, Myanmar würde einige Rohingya zurücknehmen, und sie würden Camps errichten. Ich glaube, die Regierung und das Militär von Myanmar denken, dass das Land, das Öl zu ihnen gehört, aber nicht die Menschen, die dort leben. Diese kamen vor hunderten Jahren aus Bangladesch und sind immer noch nicht in Myanmar anerkannt. Wenn die Regierung von Myanmar uns normale Rechte, die Staatsbürgerschaft gibt, können wir hoffentlich nach Myanmar zurück. Aber die meisten Rohingya sind Muslime, und das Militär will den Muslimen nicht gestatten, dort ihr Leben zu verbringen. Sie wollen, dass nur Buddhisten dort leben.

 

Hast du einen Traum? Was möchtest du in der Zukunft machen?
Ich träume davon, eine Ausbildung als Elektriker zu machen. Gerade mache ich drei Tage die Woche ein Prak­tikum, und zwei Tage gehe ich zur Schule. Abends mache ich einen Minijob. Ich denke, ich bin auf einem guten Weg. Den möchte ich weiter gehen.

Rohingya-Flüchtlinge in Rakhine. Bild: Foreign and Commonwealth Office / flickr / CC BY-ND 2.0

MIT DEM LEBEN DAVONKOMMEN

Mohammad F. wuchs in Bangladesch auf. Als Angehöriger der Rohingya-Minderheit in Myanmar und mit dem Flüchtlingsstatus der Familie in Bangladesch litt er unter Diskriminierungen und dem Mangel an einer Perspektive auf ein Leben in Würde. So ergriff er die erstbeste Chance zur Flucht. Ohne sich von seinen Eltern zu verabschieden, überquerte er die indische Grenze. Seine monatelange Reise führte ihn dann weiter über Pakistan, Iran, Irak und die Türkei bis nach Europa. Auf seiner Flucht geriet er mehrfach in lebens­bedrohliche Situationen.

Unser Schlepper hatte uns gesagt, es würde nicht schwierig. Aber als wir die pakistanische Grenze erreichten, schoss die Polizei auf uns. Wir waren zu acht in der Gruppe. Als wir die Schüsse hörten, rannten wir los. Es war Nacht. Ich stieß mich beim Rennen an irgendetwas, aber ich weiß nicht, was. Meine Hand war schlimm verletzt, aber ich rannte weiter. Das war schrecklich. Überall nur Dunkelheit, der Lärm der Schüsse riss nicht ab, und ich rannte. Irgendwie gelangten wir nach Pakistan.

Meine Hand entzündete sich. Die Wunde blieb zehn Tage lang unversorgt. […] Nach 15 Tagen kamen wir in den Iran. […] Ich bekam Arbeit in einer Kartonfabrik. […] Mit zwei anderen Jungen aus Bangladesch bekamen wir eine Woche frei, um die schiitische Wallfahrt nach Kerbala im Irak mitzumachen. Dort war Hochbetrieb. Ich lernte Leute aus Bangladesch kennen, die in den Restaurants dort arbeiteten, und beschloss, mich ihnen anzuschließen. […] Aber im Jahr 2015 gab es Krieg im Irak. Der Restaurant­besitzer sagte mir, dass er das Restaurant nicht weiter­führen könne und dass sie in die Türkei zögen. Er fragte mich: „Willst du mit uns kommen?“ […]

 

Wie bist du über die Grenze von der Türkei nach Griechenland gekommen?

Ich saß im Boot, das Wasser lief bis hier. (senkt seinen Handteller auf Kniehöhe)

Wie viele Leute gab es im Boot? Hattest du eine Rettungsweste? Kannst du schwimmen?

Wir waren etwa 60 Leute, ich hatte keine Rettungs­weste. Ich hatte ein Kind hier (deutet durch Gesten an, dass er es auf seinem Schoß trug und dass es sehr eng war). Ich kann nicht schwimmen. Es gab große Wellen. Meine Hose war nass, das Rote Kreuz in Griechenland hat mir neue Kleidung und neue Schuhe gegeben. ­Frauen haben geholfen. Ich hatte sehr, sehr Angst.

Ich hatte zwei große Probleme, eines in Pakistan, eines zwischen der Türkei und Griechenland. Ich wusste nicht, ob ich Deutschland erreichen würde. Mein Schicksal hat mich hierher geführt. Ich danke Gott, dass er mein Leben in diesen schlimmen Momenten gerettet hat. […]

War das ein Fluss oder das Meer?
Das Mittelmeer.

War es nachts oder tags?
In der Türkei fuhren wir mit einem Bus. Wir blieben am Fuß eines Hügels. Die Leute, die einen Schlepper bezahlt hatten, konnten einen Platz im Boot bekommen. Das war bei Sonnenuntergang.

Wie lange warst du auf dem Boot?
Ich war rund 45 Minuten im Boot, es war ein Plastikboot, ein Schlauchboot.

Gab es Polizei auf dem Wasser, andere Schiffe?
Wenn die türkische Polizei ein Boot gefunden hat, haben sie es leck gestochen und die Leute in die Türkei zurückgebracht. Wer es nach Griechenland schaffte, war sicher und bekam Hilfe von einigen Menschen dort. Aber wenn die türkische Polizei jemanden entdeckte, hat sie ihn unter Zwang zurück in die Türkei gebracht.

Illustration: Aylin Özbucak

Bekamt ihr keine Hilfe von der türkischen Polizei?

Wir bekamen keine Hilfe. Wir sahen einige Polizei­boote. Sie stachen zwei, drei Boote leck und fuhren wieder weg. Aber da waren viele Boote, und irgendwie sind wir entkommen.

Sie stachen Boote mit Menschen drin leck?

Nein, sie holten die Leute auf ihr Boot und dann stachen sie die anderen Boote leck. Das war illegal. In der Zeit dieser Überfahrt habe ich zwei Tage lang nichts gegessen.

 

Was war deine Angst?

Ich betete um Gnade. Ich wollte das Kind retten. Ich betete darum, dass, wenn mir etwas passierte, dass das Kind verschont bliebe.

Wusstest du, dass andere Menschen unterwegs gestorben waren? Wovor hattest du Angst?

Ich sah, wie ein Boot sank und die Menschen ertranken. Die griechische Küstenwache rettete sie, aber ein Kind starb. Ich beobachtete das. Die griechische Küsten­wache kam mit einem Hubschrauber und rettete die Menschen, aber ein Kind fanden sie nicht. Als wir nach Griechenland kamen, sahen wir die Mutter oder eine Frau, die wahrscheinlich eine Verwandte war. Sie weinte laut. Sie würde nicht ohne ihr Kind weiter fahren. […] Ich bin glücklich, dass ich diese Situation überstanden habe. Ich danke allen, die mir in Deutschland und unterwegs hierher geholfen haben. Ich finde die Menschen in Deutschland sehr freundlich und hilfsbereit.