— Die Entscheidung, aus dem Libanon nach Deutschland zu kommen, war nicht einfach. Das kostete mich viel Geld und ich hatte keines, weil meine tägliche Arbeit gerade einmal zum Überleben reichte. Ich hatte auch keinen Pass, keinen Aufenthalt. Wie konnte ich in die Türkei fliegen? So habe ich mir bei Freunden in aller Welt Geld geliehen und habe für 1.000 Euro einen Pass machen lassen. Der kostet in Syrien normalerweise 100 Euro, aber ich war ja im Libanon.
— Dann habe ich einen Flug für 400 Euro gebucht. Am Flughafen schloss ich mich einer Gruppe an, die auch nach Deutschland wollte. Ein Mann sollte uns von der Türkei aus nach Griechenland bringen. Wir waren circa 40 Leute, darunter drei Familien mit Kindern. Da war eine halbe Stunde Überfahrt über das Mittelmeer nicht einfach. Der Mann hat mir vorgeschlagen, innerhalb der Türkei fünf Stunden bis zu einer Stelle zu fahren, von wo aus die Überfahrt nur eine Viertelstunde dauern sollte. Das gab uns ein bisschen Sicherheit.
Für mich es war es nicht zu schwer. Ein Abenteuer über 40 Stunden. Aber für die Familien war das nicht so einfach.
— Was war Ihr schönstes und was Ihr schlimmstes Erlebnis auf der Flucht?
— Das schönste war das Gefühl, als wir die [griechische] Insel erreichten. Da fühlte ich mich sehr gut: Ich bin jetzt okay. Ich bin jetzt in einem Land, das zu Europa gehört. Das gab Sicherheit. Das Schlimmste war die Entscheidung zur Flucht. Und dann, die Familien [während der Reise] auf der Straße liegen zu sehen. Wir hörten während der Reise, dass viele Leute starben. Wir lasen in der Zeitung, dass viele Leute aus Syrien im Meer gestorben waren. Das war auch nicht so schön. Ich habe meine Erinnerungen verlassen [im Sinne von losgelassen; d. Red.]. […] Zum Beispiel die Momente, die wir als Schüler miteinander erlebt haben. Ich habe sie verlassen. Viele Freunde sind gestorben. Die Überfahrt von der Türkei nach Griechenland, das war am schlimmsten.
— Also die Fahrt?
— Ich war wie ein Chef in meiner Gruppe, was nicht einfach war. Ein Freund und ich, wir waren die jungen Leute. Die anderen waren größere oder kleinere Familien. Ich musste immer auf Google Maps schauen, wo wir als nächstes hingehen müssen.
— Waren Sie mit der Schwimmweste im Boot? Die kostet ja auch Geld.
— Schwimmwesten hatten wir alle an. Das Bootsthema brauchte viel Zeit. Wir haben uns fünf Stunden vorbereitet. Der Mann, der uns nach Griechenland bringen sollte, holte ein kleines Boot. Wir mussten die Luft einfüllen und es eine halbe Stunde lang bis zum Strand tragen. Diese Arbeit haben nur wir Jungen gemacht, nicht die Familien. Wir mussten die vielen Kinder holen. Wir halfen diesen Leuten. Große Sorge hatten wir, dass die türkische Polizei uns festnehmen würde. Dann hätten wir es noch einmal versuchen müssen.
— Ist die ganze Gruppe erfolgreich angekommen?
— Alle. Wir waren 40 Personen in einem kleinen Boot. Die Jungen saßen außen, die Familien in der Mitte. Die ganze Reise dauerte zwei Wochen.
— Wie ging die Reise weiter von Athen aus?
— Über Mazedonien, Serbien, Kroatien. Ich hatte Glück, weil Kroatien die Grenzen für Flüchtlinge geöffnet hatte. Vorher mussten die Leute durch Ungarn, und dort war die Situation schlecht. Alles zu Fuß, ohne Zug, das braucht viele Tage, um es zu schaffen. Ein Freund hat zwei Wochen gebraucht, um Ungarn zu durchqueren, und musste auch viel Geld ausgeben.
— Wenn man viel Geld hat, ist es dann viel einfacher?
— Die Reise wird dann einfacher, ja.
— Auch schneller? Oder nicht immer?
— Nicht immer, aber das Geld gibt mehr Sicherheiten. Das ist eine gute Frage. (lacht)