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Klava Leybovas Geschichte

Von Karina, Pascal und Yasmina

,,Der Mensch sollte nicht leben, ohne zu wissen, was vor ihm war.“ Gleich zu Beginn des Gesprächs macht Klava Leybova  klar, wie wichtig sie die Auseinandersetzung mit der eigenen Geschichte findet.

Klava wurde 1939 in Kiew geboren. Zu Beginn des Kampfs um Stalingrad war sie drei Jahre alt. Ihr Vater  diente in der Roten Armee und fiel im Krieg, daher hat sie keine Erinnerung an ihn. Die meisten Geschichten habe ihre Mutter ihr erzählt.

Bevor die Familie fliehen musste, habe ihre Mutter lange nicht gewusst, dass die jüdische Bevölkerung gefährdet war, erzählt sie. Vielleicht sei einfach auch nur nicht darüber gesprochen worden. Vor den Kindern schon gar nicht. „Sie sollten nicht in Panik geraten.“

Klavas Mutter lebte im Gegensatz zu ihrer Großmutter nicht nach religiösen Regeln, Klava wurde auch nicht jüdisch erzogen. „Ich glaube allerdings an eine höhere Macht“, sagt sie. Vielleicht hat sie auch ihre Geschichte zu ihrem Glauben geführt.

Im Sommer 1941 marschierte die deutsche Wehrmacht in Kiew ein.

Mit einem Güterzug flüchtete Klava mit ihrer Familie in die Nähe von Stalingrad. Sie lebten in einer Notwohnung, bis sie 1942 weiter ziehen mussten. Sie fuhren mit einer Kutsche in eine kosakische Siedlung, wo sie die Jahre bis zum Kriegsende auf einem Hof mit einer kleinen Hütte verbrachten. Während der Flucht in der Kutsche sei ihre Oma heruntergefallen und von den Pferden überrannt worden. „Sie starb später an den Folgen der Verletzungen“, sagt Klava.

Einen Wachposten der faschistischen deutschen Wehrmacht auf der Zitadelle der am Vortage, dem 19.9.1941 eroberten Stadt Kiew und einen Blick auf die Stadt mit der brennenden Dnjepr-Brücke. Bild: Bundesarchiv, Bild 183-L20208 / Schmidt / CC-BY-SA 3.0

Nicht alle ihre Erinnerungen an die Zeit sind düster. Klava erzählt von Soldaten der Roten Armee, die auf dem Hof waren und sie verhätschelten. „Sie haben mir Zucker gegeben und Brot. Außerdem haben wir zusammen Lieder gesungen.“

Nachdem Deutschland den Kampf um Stalingrad verloren hatte, seien viele deutsche und mit den Deutschen verbündete Soldaten in Gefangenschaft gekommen. Ein Teil der Truppen sei auf der Flucht an ihrer Hütte vorbeigekommen – oft seien die Männer halbverhungert gewesen.

Eines Tages klopfte ein rumänischer Soldat, der für die Deutschen gekämpft hatte, an die Haustür. Er stellte sich als Schneider vor und bot einen Ring gegen ein Stück Brot an. Klavas Mutter weigerte sich, seinen Ring anzunehmen, gab ihm aber aus Mitleid schließlich doch etwas zu essen. Gegen Ende des Winters fand ihre Mutter eine große Schere in einem Stapel mit Feuerholz.

„Es war wahrscheinlich das Dankeschön des Soldaten für die Großzügigkeit meiner Mutter.“ Die Schere hat Klava bis heute.

Nach dem Krieg in Stalingrad konnte die Familie nach Kiew zurückkehren. Sie wurden mit anderen geflüchteten Personen in einem ehemaligen Gaslaster zurückgefahren. Während der Fahrt summte Klava ein Lied, das sie von den Soldaten gelernt hatte, woraufhin alle verstummten und plötzlich anfingen zu weinen.  „Gesungen habe ich immer gern“, sagt sie.

Nachdem sie nach Kiew zurückgekehrt waren, hat Klava, der es immer leicht viel, zu lernen, Abitur gemacht und einen Hochschulabschluss im polytechnischen Bereich erlangt. Ihr Studium ebnete ihr den Weg zum Flugzeughersteller Antonow. In dieser Firma hat sie 38 Jahre lang im Bereich der Flugzeugtests gearbeitet.

Die Zeit des Antisemitismus sei nach dem Krieg nicht vorbei gewesen, erzählt Klava.

„In der Sowjetunion erhielten nur wenige Juden Studienplätze. Benachteiligungen gab es in fast allen Bereichen des gesellschaftlichen Lebens.“

Familienfotos aus Klavas persönlichem Archiv

In Deutschland hingegen habe sie bislang keinen Antisemitismus erlebt. 1998 wanderte Klava mit ihrer Familie nach Deutschland aus. Grund war vor allem die bessere medizinische Versorgung – ihr  Mann, der inzwischen verstorben ist, war seinerzeit krank.

Klava hat sehr schnell Deutsch gelernt. Ihr Hobby aber ist russische Literatur. Regelmäßig hält sie Literaturvorträge für Menschen aus Osteuropa.

Alle fünf Jahre fliegt Klava nach Kiew, um ehemalige Arbeits- und Studienkollegen zu treffen. „Kiew ist für mich Heimat und Deutschland ist für mich zu Hause“, sagt sie. „Aber wenn ich in die Heimat fahre, sage ich, ich fahre nach Hause und nicht: Ich fahre heim.“

Bis heute nimmt Klava manchmal die Schere des Schneiders in die Hand.

„Gegenstände von früher sind wichtige Erinnerungen“, sagt sie. „Sie überdauern länger als wir Menschen.“ Über die Begegnung mit dem Soldaten und die Schere hat sie selbst eine Novelle geschrieben.

Klava war 60 Jahre alt, als sie in Deutschland ankam. Nach ihrem Sprachkurs hat sie nach Beschäftigungen gesucht. Da sie zu diesem Zeitpunkt nicht mehr arbeiten gehen konnte, musste sie sich zunächst orientieren. „Man kann das vergleichen mit einem Pferd, das immer rennt und dann stoppt. Was macht man dann?” Sie fing mit dem Schreiben an, nachdem ihr Mann verstorben war, schrieb sie immer mehr.

Klava Leybova hat zwei erwachsene Söhne, zwei Enkelinnen und zwei Urenkel. Regelmäßig erzählt sie jungen Menschen ihre Geschichte.

Von Karina, Pascal und Yasmina