— Erzähl uns bitte von Deiner Flucht.
— Die Flucht hat zwei Jahre gedauert bei mir. Beim ersten Versuch musste ich von Afghanistan nach Pakistan und von Pakistan nach Iran und von dort aus in die Türkei. Als ich versucht habe, von der Türkei nach Griechenland zu kommen, mit einem Schlauchboot, waren wir ungefähr 45 Leute. Dort wurden wir erwischt, in der Türkei war ich dann acht Monate lang in so einer Art Gefängnis. Nach acht Monaten wurde ich deportiert nach Afghanistan. Zwei Monate war ich dann bei meiner Schwester – dem einzigen Menschen aus meiner Familie, mit dem ich noch Kontakt habe, die zu mir hält. Dann bin ich wieder aufgebrochen. Ich bin in vielen Ländern auf der Flucht für ein paar Wochen geblieben, um Geld für die Weiterreise zu verdienen.
— Das heißt, Du hattest keine Ersparnisse?
— Beim ersten Mal hatte ich ein bisschen. Meine Schwester hat mir für den zweiten Versuch auch etwas Geld gegeben.
— Seid ihr bei der ersten Flucht auf dem Mittelmeer von der Polizei aufgegriffen worden?
— Ja, das war die griechische Polizei, wir waren sehr nah an einer Insel. Sie haben uns sehr schlecht behandelt. Sie haben uns unsere Handys weggenommen und alle Wertsachen, die wir in unseren Rucksäcken hatten. Wir haben nichts zum Essen und Trinken bekommen, die Männer wurden geschlagen, wenn sie fragten, warum macht ihr das mit uns, unser Kind braucht Wasser. Unser Schlauchboot haben sie abgeschleppt. Und dann haben die uns auf dem Mittelmeer abgekoppelt und allein gelassen. Einer aus der Gruppe hatte sein Handy versteckt und hat die türkische Polizei benachrichtigt. Die haben uns gerettet und zurück in die Türkei gebracht.
— Dort warst Du in einem Lager.
— Dass wir nicht verlassen durften. Das war die schlimmste Zeit. Nach fünf Monaten wurde ich brutal zusammengeschlagen, hatte meine Nase gebrochen und Kopfverletzungen. Ich war 16 und einer de jüngsten im Lager. Ich lag zwei Wochen im Bett mit den Verletzungen, ohne Arzt. In Deutschland wurde meine Nase operiert, ich kann jetzt wieder besser atmen (lacht).
— Und da warst Du insgesamt wie lange?
— 8 Monate im Gefängnis, die Räume hatten kein Tageslicht.
— Hattest Du das Recht, jemanden anzurufen?
— Theoretisch, wenn ich Geld gehabt hätte. Aber ich hatte nichts, nachdem die griechische Küstenwache uns alles genommen hatte. In Afghanistan wusste niemand, was mit mir los ist. Erst, als ich nach acht Monaten zu meiner Schwester gekommen bin.
— Wie lief dann die zweite Flucht ab?
— Beim zweiten Mal wusste ich, dass die Schlepper fast immer lügen – und dass es sehr gefährlich ist. Zum Beispiel wurde mir beim ersten Mal gesagt, dass der Weg von Afghanistan in den Iran vier Tage dauern würde, ich mit dem Auto gefahren würde und zu Essen und Trinken bekäme. Ich war dann 45 Tage unterwegs, habe sehr oft nichts zu essen und zu trinken bekommen, wurde tagelang mit anderen Flüchtlingen in einen Kofferraum gestopft und wäre fast gestorben. Einmal saßen wir mit 40 Leuten auf einem Anhänger, der hinten offen war, und da ist in der Steppe jemand runtergefallen – wir haben gerufen, aber der Fahrer hat nicht gehalten. An der Grenze zu Pakistan wurden wir von Taliban kontrolliert. Die Flüchtlinge von der Volksgruppe der Hazara, die asiatisch aussehen, durften nicht weiter – die Taliban hassen sie. Keine Ahnung, was mit denen passiert ist.