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Biografie von Aramayis

Von Duygu, Franzi, Lars, Jean-Luc

Für Iraner war er Armenier, für Armenier Iraner. Für Deutsche war er Flüchtling, Fremder. „Die Realität ist nicht schön“, sagt Aramayis, „aber es ist so, wie es ist, man kann es nicht ändern.“

Bild: b9oMgOkB2YE/ travelergeek / Unsplash

Aramayis hat früh erfahren, was es heißt, sich nicht zugehörig zu fühlen. Er komme aus einer sehr armen Familie, einem Dorf im Norden Irans, erzählt er. Wie seine Kindheit war? In der Schule sei er oft geschlagen worden, „ich habe nicht viele schöne Erinnerungen“. In seinem Dorf seien viele Menschen nicht gebildet, aber sehr religiös gewesen. Er habe früh gemerkt, dass er das nicht wolle.  „Ich war immer sehr gut in der Schule, ich wollte mich bilden“, sagt er, „trotzdem bin auch ich geschlagen worden.“ Aramayis lacht.

Sein Bruder habe Aktionen organisiert, um zum Wahl-Boykott gegen das Mullah-Regime der Islamischen Republik Iran aufzurufen, er selbst sei eigentlich dagegen gewesen. „Ich war der Meinung, dass das nichts ändert. Man muss mit Waffen auf die Straße gehen. Vorher haben wir friedlich demonstriert – normale, leise Demos, da haben die sofort geschossen.“

Irgendwann habe er in Teheran in einem Park gesessen und Nüsse gegessen, da habe sein Vater angerufen. „Ich sollte sofort in eine Stadt fahren, die zwölf Stunden entfernt ist, hat er gesagt. Ich habe nicht viel mitgenommen, weil ich dachte, dass ich schnell zurückkomme.“ Ehsan lacht.

Straße in den Bergen nördlich von Zanjan, Iran. Bild: Julia Maudlin / flickr / https://www.flickr.com/photos/juliamaudlin/14288775607/ CC BY 2.0

Er verabschiedete sich von niemanden, auch nicht von seiner Freundin, seiner großen Liebe, mit der er seit fünf Jahren zusammen war. Die Flucht sei komisch gewesen, weil sein Vater ihn die ganze Zeit über Handy gelotst habe und er sich mit den Schleusern nicht verständigen konnte, erinnert sich Aramayis. Mit elf Geflüchteten und mit Benzinkanistern beladenen Eseln sei er über die Grenze gegangen. „Drei von uns sind dabei erschossen worden.“ Er habe es nicht gesehen, nur die Schüsse gehört. „Ich war zu der Zeit allein, ich hatte die Gruppe verloren.“

Über eine Odyssee sei er zu einer kurdischen Familie gekommen. „Die ganze Familie hat als Schleuser gearbeitet. Die Oma kam mit Waffen ins Haus, das fand ich lustig.“  Von fuhr Aramayis mit anderen Flüchtlingen in einem Van in eine andere Stadt, von dort nach Istanbul, wo er am Abend seinen Vater getroffen habe. Der gefährlichste Abschnitt der Flucht stand bevor. Von Izmir ging es mit seinem Vater und  15 Geflüchteten ans Meer. „Wir haben selber das Schlauchboot aufgepumpt. Einige der Schleuser hatten Waffen und Peitschen, sie haben einige von uns ausgepeitscht, damit sie schneller pumpen, das war lustig, sie hatten wirklich Peitschen!“ Aramayis lacht auch, wenn ihm gar nicht danach zumute ist.

Einer der Geflüchteten habe den Kapitän spielen müssen. „Es war jemand, der noch nie einen Motor bedient hatte.“ Mitten auf See sei ihnen das Schlauchboot entgegen gekommen, das vorher losgefahren war. „Es war leer. Auch das Boot, das nach uns losfuhr, kam nicht an.“ Kurz, bevor das Boot mit Ehsan und seinem Vater die griechische Insel erreichte, ging der Motor aus und es fing an zu gewittern. „Wir hatten sehr viel Glück, die Insel war nur ein paar Hundert Meter entfernt.“

„Die ganze Familie hat als Schleuser gearbeitet. Die Oma kam mit Waffen ins Haus, das fand ich lustig.“

Auf der Insel habe er vom letzten Geld Tickets für eine Fähre in die griechische Stadt Kavala gekauft. „Eine Nacht mussten wir dort übernachten. Ich ging in eine Apotheke,  um zu fragen, wo wir schlafen können. Das billigste Zimmer kostete 20 Euro pro Person, aber wir hatten nur noch 15. Ich kaufte ein Zelt für 7 Euro und Sandalen, für mich und meinen Vater. Mit dem Rest habe ich Tequila gekauft, dazu habe ich gratis Nüsse bekommen. Das war das erste Mal, dass ich Alkohol getrunken habe. Wir dachten, der Tequila wärmt uns, hat er aber leider nicht.“

Sie waren nicht die einzigen, die am Hafen von Lesbos ihr Notlager aufschlugen. Aramayis erzählt von einer syrischen Familie mit fünf Kindern. Der Vater stand in einer Ecke und rauchte, die Mutter hat die ganze Zeit geweint. Die Kinder hatten fast nichts an, ihnen war kalt. „Mein Vater und ich haben ihnen die Klamotten von uns gegeben, die wir weggeben konnten.“

 

Aramayis macht eine Pause. Man merkt, dass es ihm schwerfällt, weiterzureden.

„Nach ein paar Minuten kam ein vierjähriges Kind zu uns und hat mir ein Stück Plastik in die Hand gedrückt, das aussah wie eine Blume. Es sah sehr schön aus, das Kind hat gelächelt.“ Aramayis‘ Stimme bricht weg, Franzi reicht ihm ein Taschentuch. Es dauert lange, bevor er weitererzählen kann. Er habe das Kind umarmt, sagt er dann. „So etwas ist auf der Flucht öfter passiert. Die Plastikblume habe ich noch heute. Ich sammele Dinge, die mich an wichtige Ereignisse meines Lebens erinnern.“ Auch ein paar von den Nüssen, die er knackte, bevor er fliehen musste, habe er noch.

Kavala. Bild: spigolf / Pixabay

Am nächsten Tag fuhr Aramayis mit der Fähre nach Kavala. Von dort ging es über die Balkanroute, mit dem Zug, Bus und zu Fuß, über Mazedonien, Slowenien, Kroatien und Österreich nach Deutschland. „Angekommen sind wir Weihnachten 2015.“

In Bayern habe ein schon lange in Deutschland lebender Onkel seinen Vater und ihn abgeholt. Von dort ging es nach Dortmund, bevor Aramayis und sein Vater in einem Flüchtlingsheim in Geilenkirchen lebten. Nach sieben Monaten kamen sie nach Köln. „Dort lebten wir mit 80 Menschen in einer Turnhalle.“ Ihm sei das nicht schwer gefallen, seinem Vater schon.

Rassismus habe er in Deutschland leider oft erfahren.

Einmal sei er mit seinem Fahrrad gefahren, da sei eine Frau mit jugendlichen Kindern auf ihn zugekommen und habe ihn gefragt, ob das sein Fahrrad sei?  Er sei verwirrt gewesen und habe ja gesagt, erinnert sich Aramayis. Ob er sicher sei, habe die Frau gefragt. „Nein, ich bin nicht sicher, was sollen wir jetzt machen? Sollen wir die Polizei rufen, um das zu klären?“ Er habe sich sehr unwohl gefühlt. Irgendwann zogen die Töchter ihre Mutter weg.

An einem anderen Tag habe er einen Unbekannten nach dem Weg zu einem Flüchtlingswohnheim  gefragt. Der habe geantwortet: „Are you refugee ?“ Bist du Flüchtling? „Ich habe gesagt „ja das bin ich. Daraufhin hat er gesagt, dass die Flüchtlinge nur hier sind, um Geld zu bekommen.“ Der Mann sei immer wütender geworden, so dass Aramayis Sorge hatte, „der Mann würde gleich einen Herzinfarkt bekommen“. Er habe dem Mann daraufhin gesagt: „Wenn es dir damit besser geht, kannst du mich auch schlagen.“ Wahrscheinlich wollte er dem Mann einen Spiegel vorhalten. Am Ende gab der Mann Aramayis die Hand und sagte ihm die Adresse. „Am nächsten Tag habe ich den Mann in unserem Camp gesehen. Er war von der Security.“

Er sei auch mal in der Bahn von zwei Männern angepöbelt und getreten worden, einfach so, erinnert er sich. Und lächelt ratlos.

 

Eigentlich habe er studieren wollen, aber seine Zeugnisse seien nicht anerkannt worden, „das Abitur aus dem Iran wird nur als Hauptschulabschluss anerkannt“. Er wolle nicht nochmal fünf Jahre in die Schule gehen, „deswegen habe ich eine schulische Ausbildung zum Kaufmann für Marketing und Kommunikation angefangen. Das war aber schon mein Plan Z.“

Seit er ein bisschen Deutsch kann, engagiert sich Aramayis in vielen Bereichen: Er arbeitet als Sprachbegleiter, begleitet Flüchtlinge ins Krankenhaus, organisiert Meetings, Workshops, Spieleabende und Wohnzimmerkonzerte für Ehrenamtler. „Ich habe dabei viele Menschen aus vielen Nationalitäten kennengelernt, die meisten wussten nicht, dass ich ein Flüchtling bin.“ Einige hätten den Kontakt abgebrochen, als sie erfuhren, dass Aramayis Flüchtling ist. „Ein Italiener hat sogar aufgehört, mich zu umarmen.“ Sogar viele der Ehrenamtler hätten Angst gehabt, sagt  Aramayis. „Das ist so ein Widerspruch. Ich kann das verstehen, aber darüber muss gesprochen werden, über die Angst.“

Bild: picupyourphoto / Pixabay

Aramayis erzählt, er habe früh angefangen, sich mit Menschen aus verschiedenen Parteien zu unterhalten. „Ich möchte wissen, was hier los ist.“ Bei der Kunstmesse Art Cologne habe er eine Frau von der AfD kennengelernt. „Ich habe sie auf einen Kaffee eingeladen, um ihre Sicht zu verstehen. Am Anfang hat sie mich angegriffen, ich habe versucht, Gemeinsamkeiten zu finden. Am Ende hat sie mich auf ein zweites Gespräch eingeladen. Habe ich nicht gemacht. Sie war nicht so mein Typ.“ Er lacht.

Die Leute von der AfD seien eigentlich ganz ok. „Die sagen einfach, dass sie mich hassen. Ich habe ein Problem mit denen, die lächeln, aber einem das Gefühl geben, sie meinen das nicht so. Die eine Maske tragen.“

Ob er in Deutschland bleiben wolle? „Ich weiß es noch nicht“, sagt Aramayis. Eigentlich habe er nach Kanada gewollt, nicht nach Deutschland. Gut sei, dass hier auch sein Bruder lebt, den er zwei bis drei Mal im Jahr sehe. Und, dass er hier genug Geld habe, um gut zu leben.

Ob er sich sicher fühle? „Noch ja, in Köln auf jeden Fall. Ich weiß nicht, wie es im Osten ist. Und wie sich das hier entwickelt in den nächsten Jahren.“ Seine Zukunft? Aramayis kennt sie nicht.

Von Duygu, Franzi, Lars, Jean-Luc