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Harry Zwi Dreifuss

Von Sarah Mfuende und Lynn Tsui

Harry Dreifuss wurde 1935 in Mannheim geboren. Er floh im Babyalter mit seiner Familie aus Deutschland und kehrte rund 25 Jahre später als Harry Zwi Dreifuss zurück. In Köln gelangen dem Kameramann 1971 die berühmten Bilder des ehemaligen Kölner Gestapo-Chefs Kurt Lischka, der unbehelligt seine bürgerliche Existenz pflegte.

Die Autorinnen Sarah Mfuende und Lynn Tsui erzählen unter anderem von der bedrohlichen Situation, die die Familie zur Flucht bis nach Palästina zwang. Und von den zwiespältigen Eindrücken des jüdischen Remigranten von einer deutschen Gesellschaft, die sich ihren NS-Verbrechen nicht stellte.

„Sucht euch einen Beruf, den ihr liebt.“ Das ist die Botschaft, die Harry Zwi Dreifuss nicht müde wird, jungen Leuten mitzugeben. Er weiß, wie er sie dazu motiviert, ihren Berufsträumen nachzugehen: indem er voller Freude aus seinem eigenen, erfüllten Berufsleben erzählt. Arbeiten war immer etwas, das er gerne machte, vor allem, wenn er anderen Menschen damit helfen konnte. Aber wären seine Eltern und Großeltern nicht vor der Verfolgung durch die Nationalsozialisten geflohen, als er ein Baby war, hätte es vermutlich weder den Kameramann Harry Zwi Dreifuss gegeben, noch den Namen Zwi in Harrys Pass.

 

Vorgeschichte

Die Familie Dreifuss stammt aus Mannheim. Harrys Großvater väterlicherseits war Julius Dreifuss. Er war ein sehr vielseitiger Mann – vielleicht war es der Unter­nehmer und Politiker, von dem Enkel Harry einmal die berufliche Strebsamkeit erben sollte. Julius Dreifuss war aber auch ein leidenschaftlicher Sportler, der gerne am Reck turnte. Und er hatte im Ersten Weltkrieg als Soldat gedient.

Mein Großvater war ein treuer Deutscher. Er hat für Deutschland alles gemacht. Und das Dankeschön war: Er musste fliehen

Unvergesslich ist Harry Dreifuss, wie der Großvater von den Geräuschen der herabsausenden Granaten erzählte, und wie er dann den Befehl zum Handeln geben musste. Die Soldaten retteten sich in die entstandenen Granattrichter, weil selten eine Granate noch einmal in dieselbe Stelle einschlug. Die schmerzliche Enttäuschung, dass Hitler an die Macht kam, und dass der Einsatz für ihr Land den jüdischen Soldaten mit Verfolgung und Mord „gedankt“ wurde, muss tief ­sitzen: Im Gespräch über den Großvater kommt Harry­ Dreifuss immer wieder darauf zurück.

Nach seiner Rückkehr von der Front engagierte sich Julius Dreifuss bei den Mannheimer Sozialdemokraten und wurde Obmann der SPD. Er besaß eine kleine Fabrik für Bohnerwachs, Möbelpolitur und Mottenschutzmittel, in der auch Harrys Vater mitarbeitete.

Nach Hitlers Ernennung zum Reichskanzler 1933 erlebte die jüdische Familie, wie die Nationalsozialisten politische Gegner ausschalteten und die wirtschaft­liche und gesellschaftliche Ausgrenzung der Juden vorantrieben. Die Dreifuss‘ blieben zunächst in Mannheim, wo am 18. Mai 1935 Harry zur Welt kam.

Kurz nach dessen Geburt warnten Partei­genossen den Großvater vor einer drohenden Verhaftung. Rund vier Monate nach Harrys Geburt wurden im September 1935 die Nürnberger Gesetze erlassen, die die jüdischen Deutschen zu Menschen minderen Rechts degradierten. Zu dieser Zeit stand der Entschluss der Familie zur Flucht bereits fest. Die Großeltern fuhren mit Harrys Eltern und dem Baby im Auto zu Harrys Onkel und Tante nach Bern, in die Schweiz. Dort trafen sie Ende 1935 ein. Die Hoffnung der Familie war es, für ein halbes Jahr dort zu bleiben, bis Hitler gestürzt wäre. Nach sechs Monaten hatte sich diese Hoffnung zerschlagen.

Dieser aus einem Granatsplitter hergestellte Brieföffner ist ein Familienerbstück, das inzwischen um die 100 Jahre alt sein dürfte. Harry Dreifuss‘ Großvater hatte im Ersten Weltkrieg als Soldat gedient. Den Brieföffner erhielt er von einem Kameraden zum Geschenk, der bei einem Angriff in den Ardennen ein Bein verloren hatte. Julius Dreifuss hatte den Verletzten aus einem Granattrichter gezogen und ihm damit das Leben gerettet.

Die Familie fand sich überraschend von der Aus­weisung nach Deutschland bedroht. Daher stellte sich die große Frage: Wohin flüchten wir? Reisepapiere hatten sie lediglich für Palästina, das damals unter britischem ­Mandat stand, oder Brasilien. Immer noch in der Hoffnung auf eine baldige Rückkehr, entschieden die Frauen der Familie sich für Palästina. Hierfür brauchten Einreise­willige ein Zertifikat, das die britische Mandatsmacht nach einer beruflichen Eignungs- oder Vermögensquote vergab (vgl. Wünschmann). Die Dreifuss‘ hatten Glück: Sie traten 1936 ihre Schiffsreise nach Haifa an.

Mitte Juli 1936, auf der Flucht von der Schweiz nach Palästina: Ein Zwischenstopp in Südfrankreich. Bild: privat
Das Leben in Israel

In Palästina änderte sich die Lage der Familie im Vergleich zum früheren Leben drastisch. Sie gehörten jetzt zu den Mittellosen. Ein Zimmer ihrer Zweizimmer­wohnung vermieteten die Eltern unter, um über die Runden zu kommen. Die Dreifuss‘ griffen die Bohnerwachsproduktion wieder auf. Die Einnahmen waren beschränkt. Aber die Familie war sehr zufrieden, erinnert sich Harry: „Nicht vergessen: Wenn Sie aufwachen, schöne Sonne und blauer Himmel, und das Meer ist zehn Minuten zu gehen. Das ist auch was.“ Wenn Harry Zwi Dreifuss über das Wort „­Kind­heit“ nachdenkt, huscht ein glückliches Lächeln über sein Gesicht. Er erinnert sich an den kleinen Zoo, an die freien Felder und die Weintrauben hinter seinemWohnhaus am Stadtrand, wo die Kinder zusammen herumtollten. Zu jener Zeit hatten Juden und Muslime keine Berührungsängste, schließt Harry Dreifuss aus den vielen selbstverständlichen und freundlichen Begegnungen mit arabischen Nachbarn.

Genau wie heute Kinder zusammen Fußball spielen, spielte auch er damals mit seinen Freunden Fußball. Die Toleranz gegenüber anderen Religionen hat er sich bewahrt: „Es gibt Christen, Mohammedaner, Juden, wo ist das Problem? Man muss damit nicht umgehen, man lebt damit, Jude zu sein.“ Seine verrückteste Tat in der Kindheit ist eine Mutprobe, bei der er unter die Hufe eines frei laufenden Pferdes geriet, aber unverletzt blieb. Heute noch lacht er von ganzer Herzenskraft darüber. Den Verlauf des Zweiten Weltkriegs ver­folgten die Eltern voller Sorge. Harry erinnert sich an eine Landkarte im Haus, auf der die Bewohner den Frontverlauf einzeichneten. Die Menschen fürchteten, dass die Deutschen mit den Italienern über die Türkei bis zu ihnen in Palästina vordringen würden.

Links: Harry an der Hand seiner Mutter am Alten Hafen in Marseille, Frankreich. In Marseille schiffte sich die Familie Dreifuss nach Palästina ein. Im Hintergrund erkennt man vermutlich die Gebäude des Viertels Le Panier, von dem eine 40 Hektar große Fläche 1943 von den Deutschen gesprengt wurde. Rechts: Ende Juli 1936 erreicht die Familie Dreifuss den Hafen von Haifa in Palästina. Das Foto von Harry und seiner Mutter entstand vor dem Verlassen des Schiffs. Bilder: privat

Im Jahr 1940 erlebte Harry die italienischen Bomben­angriffe auf Tel Aviv. Er erinnert sich genau daran, bei welcher Wetterlage die Flugzeuge zu erwarten waren. Ein Freund seines Vaters starb durch einen Bombeneinschlag. Vom Kriegsende hörte er im Radio, ohne genau zu begreifen, was diese Nachricht bedeutete.

Einen Kindergarten besuchte Harry Dreifuss nicht. „Bisschen seelische Schwierigkeiten“ hatte er nach der Einschulung in eine private Grundschule. In der ersten Klasse fing es langsam an, dass er Hebräisch sprechen konnte. Weil „Harry“ sich nicht hebräisch anhöre, fand seine Lehrerin seinen Zweitnamen Zwi für ihn, was auf Hebräisch „Hirsch“ bedeutet. Diesen Namen trägt Harry Zwi Dreifuss in seinem Pass. Sowohl Deutschland als auch Israel bedeuten ihm Heimat. „Obwohl ich an Israel ein bisschen mehr gebunden bin, weil das ist ja meine Rettung gewesen“, sagt er.

In Hebräisch als Schulfach war er nach eigener Aussage eine Null. Auch wenn man sehr viel Rücksicht auf ihn nahm, weil es zu dieser Zeit viele Flüchtlinge gab, machten ihm einige Kinder das Leben schwer. Seine noch schlechten Sprachkenntnisse und sein Kleidungsstil eines typischen Deutschen – Lederhosen mit einem Gürtel, auf welchem ein Hirsch abgebildet war – waren Gründe für die Hänseleien anderer Kinder. Heute noch fragt sich Harry, warum seine Eltern ihn ausgerechnet so angezogen haben.

Harry, im Alter von fünf Jahren. Er schließt Freundschaft mit einem arabischen Mann. Dieses Foto ist Harry Dreifuss wichtig. Er nennt es „Shalom in Palästina“. Es ist ein Aufruf zur Verständigung zwischen Juden und Arabern in Nahost. Nur radikale Kräfte auf beiden Seiten wünschten sich den Krieg, glaubt er. Das Foto hat seine Mutter gemacht. Bild: privat

Einige wünschten, dass wir zurück zu Hitler reisen

Schon sehr früh, mit sechs Jahren, fing Harry an zu arbeiten. Mit einer Mixtur aus Mehl und Wasser klebte er Papiertüten für einen Lebensmittelladen. Den verdienten Groschen hat er „sofort für Nüsse“ eingetauscht. Im Alter von zwölf bis 14 Jahren lieferte er mit dem Fahrrad Blumen aus. Kurz bevor er volljährig wurde, erledigte er mit seinem Motorrad Kurierfahrten.

Mit 15 Jahren fand Harry zu einer Leidenschaft, die er später zu seinem Beruf machte: die Fotografie. Noch in der Oberstufe veröffentlichte er erste Bilder in Zeitungen. Zu dieser Zeit, mit 18 Jahren, lernte er seine spätere Frau Tamar kennen. Wenn er diese Geschichte erzählt, hört Harry Zwi Dreifuss gar nicht auf zu strahlen. Er betont, dass Tamar immer etwas zu spät komme. So war es auch bei ihrer ersten Begegnung an einem Jugendtreffpunkt. Sie hatte ihre Clique verpasst, und begleitete dann kurzentschlossen Harry zum Fotolabor eines Freundes. Wie es weiter ging, erzählt er kurz und mit einem Augenzwinkern: „Da fragen Sie bitte meine Frau, ich gebe Ihnen alle Zeilen frei!“ Aus der Ehe gingen später eine Tochter und ein Sohn hervor. Zu beiden sei das Verhältnis heute noch sehr gut.

Links: Julius Dreifuss mit seinem Enkel Harry auf dem Arm in Palästina. Julius Dreifuss verstarb 1946. Rechts: Harry mit seiner Mutter im Frühjahr 1938. So, wie die Eltern ihn herausputzten, war er noch im Grundschulalter als Kind deutscher Flüchtlinge erkennbar. Bilder: privat
Remigration nach Deutschland

Nach Harrys Abitur 1955 verließen seine Eltern Israel, um in Deutschland einen Neuanfang zu wagen. Den älter gewordenen Menschen machten das heiße Mittelmeer­klima und wirtschaftliche Schwierigkeiten zu schaffen. Ein weiterer ausschlaggebender Grund für die Rückkehr war die Kommunikation im Land. Mit den Jahren hatte sich das Hebräische durchgesetzt, sodass die Deutschkenntnisse den Eltern nicht mehr viel nützten. Der Vater wollte die Firma wieder aufblühen lassen. Dafür konnten sie in Deutschland eine kleine staatliche Hilfe in Anspruch nehmen. Im selben Jahr trat Harry seinen zweieinhalbjährigen Wehrdienst in Israel an, mit sehr viel Motivation: „Ich bin dort aufgenommen worden, und dann haue ich nicht so einfach ab.“

Seine tiefe Verbindung zu Israel verknüpfte sich beim Militär mit seiner Liebe zur Fotografie. Er wurde im Fotolabor eingesetzt und durfte sich während des Sinaifeldzugs 1956 schnell dort hocharbeiten. Nach Harrys Entlassung 1958 wollte er Fotografie studieren. Aufgrund seiner Sprachkenntnisse entschied er sich, dies in der Nähe seiner Eltern zu versuchen. Ein Jahr lang kundschaftete Harry seine Studienmöglichkeiten in Deutschland aus. In dieser Zeit hielten seine Freundin Tamar und er ihre Verbindung aufrecht. Im Jahr 1959 kam er für einige Wochen zurück nach Israel. Tamar und er heirateten in der Stadt Ramat Gan. Durch die Heirat wurde seine Frau vom Militärdienst freigestellt. Sie kam mit ihm nach Deutschland. Das kostete sie einiges an Überwindung, war ihr Vater doch im Konzentrations­lager ermordet worden.

Harrys Rückkehr nach Deutschland war von zwiespältigen Eindrücken geprägt. Einerseits gelang es ihm, im neuen Land seinen Weg zu finden. Sein Studium an der Fachhochschule für Fotografie in Köln schloss er 1961 ab. Er erhielt den Ingenieursgrad. Im Alter von Mitte zwanzig begann er als freier Kameramann für den öffentlich-rechtlichen Rundfunk zu arbeiten, was ihn im Lauf der Jahre häufig zu Politikern nach Hause führte. Auch sein Einstieg 1965 bei Siemens, wo er Ausbildungsfilme produzierte, verlief erfolgreich.

Harry Zwi Dreifuss im Jahr 1955. Bild: privat

Auf der anderen Seite verstand Harry Zwi Dreifuss schnell die Warnung seines Vaters, dass in Deutschland immer noch Nazis lebten. „Die sind alle noch da“, hatte der Vater ihn wissen lassen, als sie nach Harrys Ankunft in Europa unterwegs von Venedig nach Mannheim waren. Ein sehr prägendes Erlebnis für Harry war, wie ein Arbeitskollege seinen Ärmel hochschob und Harry unaufgefordert eine SS-Tätowierung präsentierte. Ähnliches erlebte Harry noch zwei weitere Male.

Mit seinen ersten Ersparnissen drehte er 1962 einen Kurzfilm mit dem Titel „Begegnungen“, in dem er seine Erlebnisse als jüdischer Remigrant in der Nachkriegszeit in Deutschland schilderte. „Die meisten Leute waren so schön und gut und nett, und das war alles gespielt“, ­erinnert sich Harry. Er denkt auch heute noch oft daran, wie die Menschen sich gegenüber den Juden verhalten haben. Bei diesem Thema redet er sich in Fahrt, ohne ein Wort über seine Gefühle zu verlieren. Aber je länger er spricht, desto greifbarer wird der Schmerz zwischen den Zeilen.

„Die sind alle noch da“, hatte der Vater ihn wissen lassen

Die Begeisterung für Hitler versteht Harry bis heute nicht. Wenn im Fernsehen historische Filmaufnahmen laufen, sucht er in der Menge nach jemandem, der nicht den Hitlergruß macht.

Ein weiteres einschneidendes Erlebnis war Harrys Antrag auf Wiedereinbürgerung in Deutschland. Auf dem Amt gab es zwei Mitarbeiter. Der ältere warf Harry die Flucht seiner Familie als Ausreise ohne Erlaubnis vor. Aber der jüngere gab ihm eine hilfreiche Empfehlung. So erhielt Harry schließlich den deutschen Pass, zusätzlich zum israelischen. Obwohl er sich noch gut daran erinnert, wie schwer es manchmal in Israel gewesen ist,ist Harry Zwi Dreifuss klar, dass er in Deutschland nicht überlebt hätte. Er ist dankbar, dass er die Chance bekam, das Leben zu führen, das er leben wollte. Die Frage nach der politischen Verantwortung für den Mord an den Juden ließ den jungen Überlebenden der NS-Verfolgung nicht los. So stand er im entscheidenden Moment zur Verfügung, als das israelische Fernsehen bei ihm anrief: Harry Zwi Dreifuss bekam 1971 die Möglichkeit, mit Beate und Serge Klarsfeld zusammenzuarbeiten. Die „Nazijäger“ wollten den ehemaligen Kölner Gestapochef Kurt Lischka filmen.

Dieser lebte damals unbehelligt von der Justiz in Köln. Über Aktenrecherchen in der DDR hatten die Klarsfelds seine Adresse herausgefunden, erinnert sich der Kameramann. Ihnen ist es zu verdanken, dass ­Lischka später als Hauptverantwortlicher für die Deportation von 76.000 Juden aus Frankreich in die Vernichtungslager zu zehn Jahren Haft verurteilt wurde.

Harry Dreifuss besuchte Lischka mit den ­Klarsfelds. Lischka habe weder Gespräche führen noch Film­aufnahmen zustimmen wollen, erzählt Harry. „Aber nachher haben wir gewartet, bis er von zu Hause rauskommt, haben wir ihn gefilmt.“ Es enttäuschte Harry Dreifuss sehr, einen Menschen zu sehen, der versuchte, seine Schandtaten zu verstecken.

Lischka wurde erst 1979 ein Prozess gemacht. Mit den Filmaufnahmen des NS-Täters in seiner bürger­lichen Wohnumgebung zeigte Harry Dreifuss besonders drastische Bilder davon, wie Verantwortliche für die Verfolgung und Ermordung von hundert­tausenden Menschen unbehelligt in Deutschland lebten. Die Aufnahmen trugen dazu bei, diesen Zustand ins öffentliche Bewusstsein zu rücken.

Auch heute ist die Zusammenarbeit mit den ­Klarsfelds von hoher Bedeutung im Leben von Harry Zwi ­Dreifuss: Zu Beginn des Gesprächs holt er Dokumente zu seinen Aufnahmen von Lischka hervor. Beim Verfolgen Lischkas mit der Kamera erleichterte es Harry Dreifuss, dass er damit einen Verbrecher stellte: „Ich hatte ja alles gesehen, wie viele Unterschriften er hatte.“ Wie viele Kinder, Mütter nicht nach Hause kamen, könne man sich gar nicht vorstellen. Über den NS-Täter sagt Harry: „Er hat nur Papier gesehen.“ In dieser Aussage kommen alle Gefühle von Harry ­Dreifuss zusammen. Sie lassen beim Zuhören Entsetzen, Verständnislosigkeit bis hin zu Wut mitfühlen.

Kurt Lischka versucht, Harry Dreifuss' Kamera zu entfliehen. Der 1979 verurteilte NS-Verbrecher lebte unbehelligt in Köln, bis er von den Klarsfelds entdeckt wurde. Bilder: Harry Dreifuss
Jahr 2017

Harry Zwi Dreifuss liebt bis heute das Fotografieren. Er ist begeistert, wie einfach es die Smartphone-­Technik macht, Bilder direkt zu verschicken. Vor eineinhalb Jahren war Harry Dreifuss zuletzt in Israel. Für ihn war es ein wundervoller Ausflug. Sie besuchten das Land im Rahmen einer Theaterproduktion mit deutschen und israelischen Jugendlichen, die auf dem Buch seiner Frau beruhte.

Das Schönste in seinen Augen war die Freundschaft zwischen den jungen Leuten. Keine Beleidigungen. Es war einfach schön. Harry Dreifuss ist keine Person, die Menschen danach kategorisiert, wie sie aussehen oder woran sie glauben. Er ist offen und hat für jeden ein offenes Ohr. Die junge Generation an seiner Geschichte teilhaben zu lassen, ist ihm wichtig.

Die Interviews führten Carina Gramer, Sarah Mfuende und Lynn Tsui