Peter Finkelgruen hat an vielen Orten gelebt: Schanghai, Prag und Israel. Aber nicht freiwillig.
Peters Eltern Ernestine und Hans mussten vor der Verfolgung durch die Nationalsozialisten fliehen. Hans war Jude. Im Jahr 1940 reiste er, gefolgt von seiner Frau, aus dem damaligen „Protektorat Böhmen und Mähren“ in Richtung Schanghai aus. Schanghai entwickelte sich mit den verzweifelten Ausreisebemühungen jüdischer Menschen nach der Reichspogromnacht zu einem letzten Zufluchtsort, weil für die Einreise kein Visum oder größeres Vermögen notwendig war. Zur Familie Finkelgruen in Prag gehörten damals noch Peters Großeltern Anna Bartel und Martin Finkelgruen. Anna war evangelisch, Martin jüdisch.
Anna hatte Martin zunächst versteckt, doch sie wurde denunziert. Als Anna später, 1946 in Prag, ihren vierjährigen Enkel Peter erstmals in ihre Arme schließt, hat sie nicht weniger als drei Konzentrationslager überlebt. Peters Großvater Martin Finkelgruen ist in Theresienstadt von einem Aufseher erschlagen worden.
Von Schanghai nach Prag
Peter Finkelgruen wurde am 9. März 1942 im Schanghaier Stadtteil Hongkew geboren. Die Situation der Familie verschlechterte sich erheblich, nachdem die mit Deutschland verbündeten japanischen Besatzer den Stadtteil im Februar 1943 zum Ghetto umwandelten. Bis 1941 hatten sich mindestens 18.000 Juden aus Europa nach Schanghai geflüchtet. Hongkew hatte 1,5 Quadratkilometer Fläche. Neben den Flüchtlingen lebten dort 100.000 Chinesen (vgl. Wulf; Armbr. und Hochstadt).
Peters Vater verstarb noch 1943 an den miserablen Lebensbedingungen im Ghetto. Peter und seine Mutter Ernestine litten große Not. Peter Finkelgruen erinnert sich noch daran, wie er mit einer der vielen Leichen auf der Straße spielte, bis man sie ihm abnahm. Es herrschten Hunger und mangelnde Hygiene. Es gab überall Ratten. Peter Finkelgruen hat bis heute Angst vor ihnen, weil sich die Umstände des Ghettos so in seinen Kopf eingebrannt haben.
Nach der Befreiung Schanghais 1946 kehrte Ernestine mit dem kleinen Peter zu ihrer Mutter Anna nach Prag zurück. Peter Finkelgruen erinnert sich daran, dass das Schiff, das sie nach Wladiwostok brachte, Smolny hieß. Er erinnert sich an den starken Dieselgeruch des Lastwagens, der sie vom Schiff zur Bahnstation brachte; daran, wie sie mit der Transsibirischen Eisenbahn nach Moskau fuhren und einen Abstecher ins Lenin-Mausoleum machten. Dann reisten sie weiter nach Prag.
Gleich am Prager Bahnhof ermahnten die beiden Frauen Peter, dass er kein Deutsch sprechen dürfe. Das schränkte ihn sehr ein, da er zwar Deutsch, Englisch und Chinesisch sprach, aber kein Tschechisch. Das Leben in Prag brachte noch eine weitere gravierende Umstellung: Ernestine musste kurz nach der Ankunft zum ersten Mal ins Krankenhaus.
Die nächsten drei Jahre lang erlebte Peter, wie seine Mutter immer wieder von zu Hause ins Krankenhaus gebracht wurde. Manchmal war sie nur für eine Woche zuHause. Da Peter durch die Lebensumstände im Ghetto sehr mager war, fütterte die Großmutter ihn durch. Sie bereitete ihm oft Wiener Schnitzel zu, das seine Lieblingsspeise wurde und heute noch ist. Damit seine Knochen stärker würden, gab es auch öfter „ein Stamperl“ Eierlikör, in den sie immer Eierschalenmehl untermischte. „Aber die Knochen sind auch gut geworden“, scherzt Peter Finkelgruen.