Wieder ins Leben finden
Im Jahr 1948 kommen Tamar, ihre Mutter und ihr Stiefvater dort an. Da habe sie langsam wieder Vertrauen zu Menschen gefasst, erinnert sich Tamar Dreifuss. Sie beklagt sich nicht. Nur auf Nachfrage berichtet sie ausführlicher von den Spuren, die die Verfolgung bei dem Mädchen Tamar hinterlassen hat.
Am Anfang hat sie Angst zu sagen, dass sie Jüdin ist. „Und dann hat man mir klar gemacht, dass ich keine Angst zu haben brauche, alle sind Juden.“
Nach der Schulzeit absolviert Tamar Dreifuss eine zweijährige Ausbildung zur Erzieherin: „Weil ich keine Kindheit hatte, eigentlich. Da habe ich gedacht, ich will mit Kindern zusammen arbeiten.“
Im Jahr 1958 tritt sie den Militärdienst an. Durch die Heirat mit ihrem Jugendfreund Harry Zwi Dreifuss wird sie aber schon nach einem Jahr davon befreit. Noch heute sind Tamar und Harry Zwi Dreifuss ein Paar.
Als Harry 1959 zum Studieren nach Deutschland geht, ist es zunächst unvorstellbar für Tamar, mit ihm mitzugehen. Doch schließlich lässt sie sich dazu überreden. Sie findet rasch Arbeit als Religionspädagogin bei der Kölner Synagogengemeinde. Es soll nur ein vorübergehender Aufenthalt sein, aber: „Schicksal ist, dass ich doch hier geblieben bin, bis heute.“ Vielleicht hat es ja einen höheren Sinn, überlegt Tamar Dreifuss.
Im Jahr 2002 hat sie die Überlebensgeschichte ihrer Mutter aus dem Jiddischen ins Deutsche übersetzt.1 Im Jahr 2009 hat sie selbst, mit Hilfe eines Teams, ein Kinderbuch über ihre Rettung geschrieben.2 Daraus liest die Holocaust-Überlebende häufig in Schulen. Das Erzählen hilft nicht nur ihren jungen Zuhörerinnen und Zuhörern, die Geschichte besser zu verstehen. Tamar selbst bewältigt die Grausamkeiten ihrer Vergangenheit, indem sie anderen davon berichtet. Sie sagt:
„Wilna ist meine erste Heimat, denn da bin ich geboren.
Israel ist meine zweite Heimat,
denn da habe ich meine Jugend verbracht.
Und Deutschland ist meine Aufgabe,
denn hier wohne ich.“
Die Interviews führten Kübra Akmantemiz, Michaela Elstner und Aylin Özbucak.